Nordkaos Hamburg – Warum ich den Scheiß eigentlich noch mach‘

Nordkaos Hamburg – Warum ich den Scheiß eigentlich noch mach‘

In den vergangenen Wochen haben mich drei verschiedene Situationen/Begebenheiten daran erinnert, warum ich diesen Scheiß eigentlich mach‘ bzw. mich in meiner Meinung bestärkt, dass das Ganze auch bei sportlichem Frust Sinn hat und Spaß macht.

Situation 1:

Nordkaos hatte in der Woche vor dem Spiel bei Curslack beschlossen, sich in der Klause zu treffen und Dieses und Jenes zu besprechen. Nachdem die Bäuche gefüllt waren und diverse Dinge ohne Fußballbezug ausdiskutiert wurden, wollten wir gerade damit beginnen auch wirklich inhaltlich zu arbeiten, als ein Vertreter des Vereins aus einer Sitzung kommend an unseren Tisch kam, um Hallo zu sagen. Aus diesem Hallo-Sagen wurde me nothing you nothing ein geschmeidiges Vier-Stunden-Zusammen-Sitzen. Völlig ungeplant, ohne Tagesordnung o.ä. entstand ein für alle Beteiligten sichtbar angenehmes Gespräch. Natürlich war auch das aktuelle sportliche Abschneiden der Liga Thema, es wurden aber auch viele weit darüber hinausgehende Themen angesprochen und diskutiert. So wurden Meinungen ausgetauscht, bisher unbekannte Perspektiven kennen gelernt und auch auf persönlicher Ebene Neues erfahren. Alle Seiten profitierten von diesem Gedankenaustausch und gingen mit dem wohligen Gefühl nach Hause, hier (im Verein) am richtigen Platz sein.

Und genau das ist es, was solche und ähnliche Zusammenkünfte bewirken: Das Gefühl, Teil dieses großartigen Vereins zu sein, Teil einer Gemeinschaft. Es wird einem bewusst, wie besonders so etwas heute ist. Wie viele Jugendliche engagieren sich denn heutzutage abseits des Sportlichen aktiv in ihren Vereinen? Vereine waren ursprünglich einmal seitens des aufstrebenden Bürgertums dazu gedacht, Geselligkeit abseits der Ständegesellschaft mit ihren Regeln und Normen und v.a. ihren Herrschaftsstrukturen zu leben. Gemeinsame Interessen verfolgen, egal ob sportlich, politisch, künstlerisch oder was einem sonst so einfiel, das stand im Fokus.

Und heute? Vereine werden, so zumindest mein Eindruck, v.a. was Sportvereine angeht, höchstens als Ort des Sporttreibens, als Dienstleister, wahrgenommen. Vor allem die Jüngeren haben vielfach gar nicht den Anspruch, ihren Verein mitzuprägen, zu gestalten. Aber genau das ist es doch, was diese Form des Zusammenkommens so attraktiv macht: Teil einer Gemeinschaft zu sein, deren Ausgestaltung man selbst in der Hand hat. Durch Engagement, durch Wahlverhalten auf Versammlungen, etc. pp.

Womit wir auch wieder bei der beschriebenen Situation wären: Nach mittlerweile 4,5 Jahren harter Arbeit können wir sagen, dass wir endgültig im Sport Club Victoria Hamburg von 1895 angekommen sind (ein wenig mehr dazu unter Situation 3). Wir sind nicht mehr die nervigen Kinder mit ihrer doofen lauten Trommel. Nein, man begegnet uns auf Augenhöhe, respektiert uns und unsere Anliegen und erkennt an, dass wir mit unserem Engagement durchaus viel für diesen Verein leisten: Und Leute, das ist ein verdammt gutes Gefühl!!!

Situation 2:

Szenenwechsel: Wir befinden uns in Curslack, ungefähr 20 Meter von der Ersatzbank der Gastgeber entfernt. Ein Blau-Weißer wurde gerade vom Platz gestellt und muss sich von uns ein wenig Hohn oberhalb der Gürtellinie gefallen lassen. Damit kann er scheinbar nicht umgehen und fordert uns wild gestikulierend zum Kampfe auf. Das Adrenalin brodelt, der Hass auf diesen Verein und seine Vertreter wächst minütlich.

Ja, das ist auch ein Teil dessen, was NK so geil macht und warum ich mir den Scheiß noch antue: Die Feindschaft, das Unverständnis auf Seiten vieler Menschen. Es ist einfach nur zu schön, immer wieder auf den Gesichtern der Leute ablesen zu können, wie überfordert sie im Umgang mit uns sind. Da sind auf einmal junge Leute auf ihren ach so schmucken Sportplätzen. Und die benehmen sich auch noch abseits der Norm, erdreisten sich beispielsweise, ihre kostbaren Werbebanden mit Fahnen zu überhängen. Lassen sich nicht jeden dummen Spruch gefallen, geben auch mal Konter.

Wenn dann auch noch die gegnerischen Spieler ihre nicht vorhandene Intelligenz offen zur Schau tragen und nebenbei auf dem Platz auch noch die Sportart verwechseln und eher beim Rugby gut aufgehoben wären, ja, dann kommt auch in der beschaulichen Oberliga Hamburg Auswärtsfeeling auf. Das Gefühl alle gegen sich zu haben. Dabei aber gleichzeitig den Wunsch verspüren, den Ball ins gegnerische Tor zu schreien, und sei es nur um die dummen Gesichter der Gegner zu sehen, unbezahlbar!

Auch das gehört zum Fußball, zu Nordkaos dazu. Aus der Not eine Tugend machen und mit sechs Leuten den Deich rocken und nebenbei am Montag darauf Gesprächsthema Nr. 1 in der Amateurszene zu sein. Das schaffen zwar die Profi-Szenen auch und das Gefühl „Wir gegen Alle“ kennt und liebt wohl jeder, der schon mal auf einer Auswärtsfahrt dabei war. Dieses Feeling aber in einem Spiel zu haben, bei dem sonst keine nennenswerte Fanszene anwesend ist, ist schon etwas Besonderes. Die dann aufkommenden Emotionen sind aber ein integraler Bestandteil des Erlebnis Nordkaos und ein weiterer Grund sich auch die vermeintlich sinnlosesten Kicks irgendwo am Arsch der Welt anzutun. Nordkaos Hamburg – Ans Ende der Welt und noch weiter!

Situation 3:

Die dritte Situation, die ich an dieser Stelle schildern möchte, hängt mit Situation 2 zusammen, ist gleichzeitig aber auch eine Art Fortsetzung von Situation 1.

Nach dem eben beschriebenem Auswärtsspiel bei Curslack-Neuengamme waren wir auf einmal in der Bild und im Abendblatt, auf hafo.de liefen die Tastaturen heiß. Was war geschehen? Der Platzwart des SVCN beschwerte sich via Medien, dass wir das Stadion vollgeklebt, Werbebanden zerstört und trotz gegenteiliger Ansage überhängt hätten. Auf den Klos hätten wir angeblich Schmierereien hinterlassen und die Stadionumgebung mitsamt Bushaltestelle hätten wir auch „verschandelt“. Natürlich glaubten das die Leute ungeprüft und Forderungen nach Stadionverboten u.ä. wurden geäußert, Curslack war angeblich schon dabei eine Schadenersatzklage ungeahnten Ausmaßes vorzubereiten.

Doof nur, dass fast alle Anschuldigungen erstunken und erlogen waren. Aufkleber ja, der ganze Rest, nein. Warum den Herrn Platzwart die vielen Aufkleber anderer Szenen (Altona, Oldenburg) nicht störten, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Dass er sich allerdings erdreistet schon vorher vorhandene Schäden an Werbebanden uns anzuhängen und nachweislich nicht existente Schmierereien uns in die Schuhe schiebt, ist eine ganz andere Hausnummer und grenzt an Verleumdung. Dass der junge Mann schon seit Jahren uns gegenüber nur herablassend und fast beleidigend auftritt und sich so schon früh jegliche Chance auf ein Entgegenkommen unsererseits, beispielsweise was die überhängten Werbebanden betrifft, verbaut hat, kommt noch hinzu.

Das wirklich Bemerkenswerte spielte sich aber sieben Tage später ab. Der Sturm der Entrüstung legte sich auf Hamburgs Amateur-Plattform Nr. 1 sowieso nach wenigen Stunden. So mit Fakten konfrontiert lässt es sich halt schlecht agitieren und Lynch-Stimmung verbreiten.

Im Abendblatt am Montag dieser Woche zeigte sich aber das, was ich schon unter Situation 1 beschrieb: Wir sind im Verein angekommen. Endlich haben wir uns eine Lobby erarbeitet, ein Luxus, von dem wir vor Monaten nur träumen konnten. Hier war es Präsi Korthe, der sich an die Medien wandte und klar machte, dass wir mit unserem Engagement „echte Victorianer“ sind und nicht irgendwelche randalierenden „Halbstarken“ (btw: Warum sind die Leute eigentlich alle so schlecht im Alter-Schätzen?). Für manch einen ist das vielleicht nur eine Floskel, mir geht das aber runter wie Öl.

Auch das zeigt noch einmal, was NK in den letzten Jahren erreicht hat, warum sich der Aufwand gelohnt hat und auch weiterhin lohnt.

Btw: Auch der SVCN stellte nach einer Platzbegehung fest, dass die „Schäden“ für einen Brief samt Schadensauflistung an den SCV nicht groß genug sind.

All diese Situationen/Begebenheiten machen deutlich, dass es mehr als lohnenswert ist, im Fußball mehr als lediglich Gelegenheiten zu sehen, sich am Wochenende für 90 Minuten zu verkleiden (ob Jogger und Windbreaker oder Trikot und Schal spielt keine Rolle, Verkleiden bleibt Verkleiden) und ein wenig rumzusingen und zu posen. Das kann auch durchaus mal Spaß machen, füllt auf Dauer aber nicht aus. Nein, zum Nordkaos Way of Life gehört für mich eindeutig zu einem entscheidenden Teil das Vereinsleben dazu. Ob als SchiedsrichterIn, in der FAV oder einfach nur bei zufälligen Treffen in der Klause. Das ist wirklich 24/7! Und wenn man das dann als Ultra bezeichnen möchte, ja, dann kann ich mich sogar mit dem Begriff identifizieren, wenn auch nur unter Vorbehalt (das führt jetzt aber zu weit)!

(Text vom 02.12.2011)