Gruppenhistorie
Kopfschütteln. So haben nach unserer Gründung im Jahr 2008 die meisten auf unsere Ideen und unsere Gruppe reagiert. Sportplätze? Niedere Ligen? Amateurfußball? Absurd! Vollkommen absurd!
Klar klang das für einige absurd und andere lachten lauthals, weil wir klein waren und ohne wirkliche Chance auf eine stimmungsvolle Kurve vor großen Gegnern. Fantastische Choreografien und ohrenbetäubende Gänsehautgesänge sollten für uns fast unerreichbar bleiben, doch wir haben in unserem Schritt auch eine besondere Konsequenz gesehen, zu der viele andere, obwohl sie selbst jede Woche erneut spüren, wie der Fußball zu einem verhassten und ungewünschten Wirtschaftsmonstrum mutiert, nicht bereit waren.
Dabei ist die bedingungslose Liebe zum Verein doch oftmals lange abgekühlt und distanziert, häufig überwiegt die Enttäuschung, wenn wieder einmal deutlich wird, dass die Unternehmen, zu denen unsere Clubs geworden sind, keinen Unterschied mehr zwischen den wahrhaft Treuen und den sporadischen Kund/innen sehen.
Und doch, so sehr wir auch die Bedeutung des Erfolgs abstreiten, wir können uns dennoch Fußball ohne dieses Umfeld, ohne die Möglichkeiten und die Chance etwas zu erreichen nicht vorstellen. So sehr wir die reine Effizienzgerichtetheit des Marktes Fußball auch kritisieren, wir sind ihm dennoch so verfangen, dass wir keine Kurve ohne größeren Absatzmarkt für die eigenen Ideen und Anstrengungen gestalten mögen…
Nordkaos ist eine Gruppe, die sich ursprünglich aus ehemaligen Fans verschiedener größerer Vereine zusammengesetzt hat, die es leid waren, ihre Kritik in leeren Slogans zu propagieren. ‚Gegen den modernen Fußball’ auf Spruchbänder kritzeln und ihn dennoch Woche für Woche konsumieren? Wir wollten keine Kunden mehr sein, also haben wir die Finger gleich ganz vom Produkt gelassen! Absurd, ja – oder aber vielleicht auch einfach nur sehr konsequent?
Für viele mag es unverständlich sein, einen Verein zu wechseln. Es werden pathetische Phrasen von unsterblicher Liebe und Loyalität bis in den Tod bemüht, doch um bei dem Bild von Liebe und Leidenschaft zu bleiben: Gefühle können sich ändern, sie können abkühlen, vergehen und natürlich neu wachsen.
Das wissen auch viele andere und sehen ihre Loyalität letztlich nur noch bei der jeweiligen Gruppe, nicht mehr beim Verein. Doch wie ehrlich ist es, bei Toren auf einen Zaun zu klettern, weil es dazu gehört, Fanatismus, Begeisterung und auch Hass zu leben, ohne dass sie noch authentisch sind? Machen wir uns nicht etwas vor – wider besseren Willens, nur der Möglichkeiten wegen oder der eigenen Außendarstellung und der permanenten Angst und Sorge, was Ultra-Deutschland wohl von uns sagen würde? Aber werden wir damit nicht auch zu Opportunisten, reproduzieren wir nicht all das, was wir im Makrokosmos Gesellschaft so anprangern?
Innerhalb unserer Szenen haben wir gelernt, unseren Mikrokosmos Fußball zu hinterfragen und uns kritisch mit den tragenden Mechanismen auseinander zu setzen. Wir haben gelernt, das Gewissen der Maschinerie zu sein, doch wenn wir diesen Gedanken weitertragen, weiter fragen, auch wenn die Antworten unangenehm sind, wo stehen wir dann letztlich?
Genau hier, würden wir sagen, auf den Rängen des SC Victoria Hamburg, mit einer traditionsreichen Holztribüne, vielen Träumen und großer Freiheit: Stay real – alles andere als absurd….
Nordkaos Hamburg 2008