Kommentar zu „Ultra ist, was du draus machst“
In der letzten Ausgabe unser aller Lieblingslektüre diskutierte ein Kaot die Frage, ob wir als Nordkaos uns selbst eine (Fußballfan-) „Kategorie“ jenseits der Bestehenden schaffen sollten oder uns innerhalb der existierenden verordnen sollten. Aufgrund einzelner Elemente von Ultra, die wir ohne Frage übernehmen (Kleidung, Support, Material, etc.), werden wir dieser Subkultur sowieso ständig zugeordnet, dann können wir dies auch annehmen und neu, unserer eigenen Interpretation entsprechend besetzen, so die Argumentation. „Ultra ist, was du draus machst!“ war der hierbei vorgeschlagene Slogan. Alternative hierzu wäre, sich gänzlich von vorhandenen Begrifflichkeiten zu trennen und selbst eine solche zu erfinden.
Ich persönlich favorisiere dabei eindeutig letztere Variante. Der in die richtige Richtung zeigende Slogan „Ultra ist, was du draus machst“ geht mir nicht weit genug. Wie der Autor des Artikels im letzten Kaos-Flyer richtig erkannte, ist der Begriff „Ultra“ heute mit allerlei als unumstößlich angesehenen Dogmen belegt. Innerhalb der einzelnen Gruppen gelten diese Vorschriften in noch viel härterer Form: Fahnen müssen so aussehen, Support so und kleiden sollten sich auch möglichst alle auf ähnliche Art und Weise. Vergleiche mit faschistoiden Strukturen werden von Kritikern nicht gänzlich umsonst angebracht (das Thema Ausstieg lassen wir an dieser Stelle einfach mal weg, Rahmen sprengen und so).
Und das ist es, was mich am meisten stört: Das Nutzen des Begriffs „Ultra“ schränkt meiner Meinung nach meine Freiheit zu sehr ein. Die spielt aber in meiner Welt eine zentrale Rolle. Ich möchte in meinem Leben außerhalb des Mikrokosmos Fußball nicht eingeschränkt werden, will nicht, dass mir irgendeine Instanz vorschreibt, was ich wie und warum zu tun oder zu denken habe. Warum sollte ich das dann beim Fußball akzeptieren?
Mal ganz davon abgesehen, dass es in meinem Idealbild zwischen Fußball- und Real-Leben keine großen Unterschiede gibt, so aufgeblasen, pathetisch und ausgelutscht es auch klingt: Nordkaos (an dieser Stelle würde der noch zu findende passendere Oberbegriff stehen) ist ein Way of Life, 24/7 und nicht nur für 90 Minuten am Wochenende. Im Spieltagsflyer einen antisexistischen Text schreiben und dann nach dem Spiel in der Disco „Schlampen checken“ oder im Stadion einen auf alternativ machen und unter der Woche angepasst und unreflektiert durchs Leben rennen, um mal zwei Beispiele zu nennen, gehen einfach nicht mit meinem Selbstbild konform.
Konventionen brechen, aus vollster Überzeugung Dinge tun, die andere albern oder lächerlich finden, das ist es, was ich will. Ich will die Freiheit haben mich vor 100 Leuten bei einem Nachholspiel unter der Woche zum Affen zu machen (wenn die Leute, die das so sehen, wüssten, wie geil dieses Gefühl ist…). Mit 20-Minuten-Dauergesang und selbst gemalter Fahne. Weil ich und die Leute um mich rum es so wollen und nicht, weil es irgendein Kodex vorgibt. Einfach nur das tun, wonach uns ist, diese Freiheit will ich haben!
Und genau das ist aus meiner Sicht aber nicht der Fall, wenn wir mit Begriffen arbeiten, die derart besetzt sind wie „Ultra“. Klar, es gibt durchaus Nuancen, in denen Freiheit gegeben ist. Dinge wie der Stil des Materials oder die Art der Gesänge sind von Gruppe von Gruppe unterschiedlich. Andere hingegen weniger. Die ganz große Mehrheit findet bspw. mit wachsender Freude Gefallen an der Gewalt, am Outlaw sein. Das können wir so viel ablehnen wie wir wollen, wenn wir mit dem Ultra-Begriff hantieren, werden diese Dinge an uns heran getragen. So geht es bei der Nichtnutzung auch ein Stück weit um Abgrenzung (wobei ich an dieser Stelle schon auch zugeben muss, dass das angesichts der Tatsache, dass wir ausgiebigst einzelne Elemente nutzen, etwas schizophren anmutet).
Letztlich ist es wie bei vielen Subkulturen: Die Attraktivität dieser Kultur mit all ihren spannenden und faszinierenden Facetten, ihr identitätsstiftendes Moment, ist nicht zu leugnen. Jeder will gerne zu etwas Größerem dazu gehören, sich dabei aber von Anderen abgrenzen, zeigen, dass er/sie doch irgendwo wieder anders ist. Von daher ist es verlockend, sich als Ultra zu bezeichnen (bzw. sich einer Subkultur anzuschließen).
Andererseits wiegen auch die oben skizzierten Nachteile schwer. Man macht sich auf gewisse Art und Weise haftbar, es wird ein gewisses Verhalten und Auftreten erwartet (übrigens ein Mechanismus, der auch in Sachen Gender & Co stark wirkt, „doing gender“ und so). Ich persönlich sehe hier meine Freiheit zu sehr eingeschränkt, zumal ich große Teile des dann von mir Erwarteten für falsch halte (s. oben).
Auch ein Selbst-Besetzen des Begriffs erscheint mir aussichtslos, da wir hierfür zu klein und unbedeutend sind, als dass es jemand registrieren würde. Und selbst wenn es jemanden interessierte, würde sich die Frage stellen, inwiefern wir überhaupt die Chance haben, den Diskurs zu verändern. Die Welt würde uns immer mit allen anderen, die sich irgendwie nach Außen hin erkennbar der Subkultur Ultra zugehörig fühlen, in eine Schublade stecken. Und mal ganz ehrlich: Wer will das schon?
Deswegen werde ich weiter auf der Suche nach einer passenderen Begrifflichkeit bleiben. Wer Vorschläge hat, immer her damit… ;-)