Dorfultras

Dorfultras

Plural von Dorfultra: Per allgemeingültiger, aber ungeschriebener Definition ein minderwertiger, vor allem lächerlicher Abklatsch richtiger Ultras. Meinst mit einem sehr geringen Altersschnitt, einer guten Handvoll Mitglieder und äußerst begrenzter Halbwehrzeit. Dorfultras finden sich, wie der Name schon verrät, meist auf den Sportplätzen ihrer Gemeinde, mit einer maximalen Einwohnerzahl im vierstelligen Bereich und einem Alles-nur-Pampa drumherum von gut und gerne 30 km zur nächstgrößeren Stadt. Die zu supportende Mannschaft spielt dabei selten höher als Kreisliga und das nächstliegende Dorf muss zwangsweise zur Tod-und- Hass-Erz-Nemesis hoch stilisiert werden. Den fünf Nachbarrentnern wird kurzerhand bei jedem Aufeinandertreffen ein Match angeboten, um später auf der eigenen Beep-Wold Seite stolz verkünden zu können, der Gegner habe sich nicht gestellt.
Weiterhin nimmt jede Gruppe, wie allgemein im Ultra-Kanon üblich, einen nie zuvor da gewesenen Namen an: Commando, Inferno, Brigade, Front oder Sturm und stimmt lauthals in nie da gewesene Schlachtrufe ein. Von der Elbe bis zur Isar gilt letztlich nur eines, den Namen seines Teams zu verbreiten, am Besten über tiefsinnige Portale, wo voller Stolz die eigene Seite angepriesen wird, um nach der folgenden Schmähung durch die echten Ultras kleinlaut zu behaupten: Ich war nur als Hopper da und kenne sie gar nicht wirklich…

Weiterhin gilt es zwei Spezies der Dorfultras zu unterscheiden: Die sogenannten Kindergarten-Gruppen und die vermeintlichen Spasstruppen. Gemeinsam haben beide die Idee, ihr eigenes Dorf zu feiern, lediglich der jeweilige Background unterscheidet sich bei den meisten: Spaßtruppen kennen sich oft aus den großen Bundesligastadien und haben da Ultra‘ als Jugend-Subkultur peripher kennengelernt. Die Idee hat sie gepackt, lediglich der Zugang zu den jeweiligen Szenen war verpfuscht – kurzerhand wurde also eine eigene Gruppe gegründet, beim eigenen kleinen Vereinen. Immerhin haben 90% der Gruppe von der F bis zur E-Jugend dort die Fußballschuhe geschnürt! TuS Schenebüren-Twietenkamp ein Leben lang!
Die Kumpels wurden zur Premiere mobilisiert und reichlich Pyro gekauft. Mit jeder Menge Alkohol wurde die Schüchternheit vertrieben und bei etwas über einem Promille ist einem ja eh nix mehr peinlich.
Der Erste Auftritt, eine ganz große Nummer, doch der nächste rückt in weite Ferne: „Nächste Woche hat meine Mutter Geburtstag“, „da muss ich zur Trecker-Treck Zeltfete“, „ich hab da Karten für den HSV, die waren teuer“ oder „mal schauen, ich wollte eigentlich ins Kino“. Letztlich finden sich nur 5 Mann, der Support wird kurzerhand auf die nächste Woche verschoben. Doch auch dann reihen sich die wichtigen Events, die Junge Menschen nicht verpassen dürfen. Nee Mann, da bin ich eingeladen…

Scheiß Spaß-Strategie, denn wo es am Anfang praktisch war, alles als Spaßveranstaltung aufzuziehen, um damit quasi kritikresistent zu werden, nimmt sie nun wie ein Boomerrang mit High-Speed den Kurs auf: return to Sender. So ein Event verliert seinen Reiz bei zu viel Wiederholung, bei 34 Spieltagen ein wahrhaft böser Fluch.
Unter zehn Leuten geht dann gar nichts mehr, zu oft sind Hopper anwesend, die über die Spaßtruppe ablästern, immerhin sind sie Mitglied 345 und 366 einer wirklich fetten Ultra-Gruppe aus der Bundesliga. Deren Capo hat ihnen sogar schon mal zugenickt…
Die Spaßultras der TuS S/T verlieren also den Spaß und entschließen sich, lieber Mitglied 367ff., als ständig belächelt zu werden.

Die andere Spezie sind die sogenannten Kindergartengruppen, in denen der Altersdurchschnitt sehr viel niedriger liegt als bei den Party- und Sufftruppen der Nebendörfer. So wird die Spielvereinigung Groß Ellerup-Gratebüll seit neustem von einer Meute von Kids begleitet, die Ultras lediglich aus dem Internet kennen. Sie machen diverse Kampfansagen in alle Richtungen und beschmieren voller Inbrunst Omis altes Bettlaken mit aufgeschnappten “Football Crime“ Parolen. Auf Pyro und Alkohol muss noch ein wenig gewartet werden. In zwei Jahren ist der erste Volljährig, da wird die ganze Hütte abgefackelt, versteht sich?! Immerhin kleben im Dorf mit drei Straßen 2000 selbgefertigte Postaufkleber, die das Revier markieren und die kleben lange, denn Gegner im Kleber-Battle gibt es keine mehr, seit dem Typen an der Ortseinfahrt die HSV Fahne vom Balkon gerupft wurde.
Was kann der gewillte Ultra für eine Choreo mit einem Budget von 20 Euro zaubern? Eine angeregte Frage, die der Capo ins Netz schickt, während die anderen Kids abstimmen, welches Banner von welcher Gruppe, sie lieber klauen wollen.
Nach einer übereilten Flucht vom Acker des SV Moordorf II – die Einheimischen hatten aufgrund von zu lautem Bandenklopfens die Dorfpolizei alarmiert – muss die neue Zaunfahne irgendwo zwischen Maisfeld und Hochsitz vom Fahrradgepäckträger gerutscht sein. Der Verlust wiegt schwer und die Gruppe weiß genau, so ein Versagen muss zum Auflösen der Gruppe führen. Ein pathetisches Kommuniqué wird Tags darauf bei Ultras.ws veröffentlicht. Noch einen Tag später flattern den Mitgliedern die Sportplatzverbote für die Kreisklasse 9 in Nordfriesland-Ost ins Haus.
Die Jungs aber werden nur zwei Wochen später entscheiden, als Aufsässige unter neuem Namen ihren Verein zukünftig auf der Straße zu unterstützen. An der Bushalte Sportplatz, Ellerup lungern sie von nun an herum – seid auf der Hut!

Nordkaos versteht sich natürlich als König der Dorfultras, bis auf die kleine Tatsache, dass unser Dorf ganz unwesentlich mehr Einwohner hat!
Offensichtlich haben wir aber eine Art Trend losgetreten, denn plötzlich finden sich eine ganze Reihe kleiner, neuer Gruppen, die alle mehr oder weniger an den oben beschriebenen Wahrnehmungen kränkeln. Natürlich ist den echten Ultras daran gelegen, diese Kids nicht ernstzunehmen, obwohl sie nicht allzu selten mehr Gas geben als die Ultra‘ Konsumenten der großen Vereine. Wer einmal 90 Minuten zu siebt durchgesungen hat weiß, dass Bundesliga Support dagegen chillig ist. Leider lassen sich viel zu viele Jugendliche von den vermeintliche Großen einschüchtern und hängen ihr Ultra-Darsein wieder an den Nagel, weil sie nicht den Mumm haben, eine Sache ohne Bewunderung und Zuspruch durchzuziehen. Ein wenig mehr Selbstbewusstsein, ein jeder sollte Ultra‘ für sich selbst definieren und darüber lachen, was irgendwelche Deppen aus anderen Gruppen sagen, denn eines ist Fakt: Auch bei den Großen macht nur eine Handvoll die Arbeit und sagt wo es langgeht, der Rest folgt wie die Lemminge und konsumiert es nonkonform zu sein. Ätzend nur, wenn alle so konform nonkonform sind…