Warum mich der Erfolg meines Vereins (fast) gar nicht interessiert?!

Warum mich der Erfolg meines Vereins (fast) gar nicht interessiert?!

Weil er nicht entscheidend ist. Natürlich wünschen wir uns Erfolge, Tore, Siege, Derbysiege, aber wir lieben den Verein auch ohne all das, selbst bei null Punkten auf einem Abstiegsplatz. Erfolg ist Beiwerk, die Hoffnung, die uns antreibt weiterzumachen, aber Erfolg ist nicht essentiell und sollte es für wahre Fans auch nie werden. Tatsächlich aber stellt sich die viel spannendere und berechtigtere Überlegung: Warum das Sportliche, die Geschehnisse auf dem Platz, (fast) gar nicht mehr interessieren? Auch bei Ultra’ geht es doch immer noch um Fußball…?

Als ich zu meinem Verein kam, hab ich von Ultra’ nichts gewusst, Kutten, Fanclubs und übersteigerter Konsum von Fanartikeln definierten meine Fußballwelt zunächst. Das Lesen des Kickers, die Sportschau, Diskussionen über Tore, Abseits und Rote Karten auf dem Schulhof: Es ging um Sport, nix anderes. Wenn mein Club ein mieses Wochenende hatte, ging es mir schlecht, ich fühlte mich angegriffen. Bei Siegen riss ich das Maul auf – das kennt wohl jeder.

Mit meiner ersten Dauerkarte ging für mich ein Traum in Erfüllung: Endlich Singen und Schreien für mein Team, immer und überall. Meine ersten Kontakte zur Ultra’-Szene entwickelten sich und ich sah darin genau das, was ich immer wollte: Die Chance, alles für meinen Verein zu geben. So weit, so schön. Doch über die Jahre in der Szene hat sich mein Verhältnis zum Verein, meine Wahrnehmung des Sports relativiert. Die Gruppe gab mir eine andere Perspektive, ich wurde kritischer und begann, nicht mehr nur die 90 Minuten auf dem Platz zu sehen. Zuerst blieb nur mein Trikot im Schrank, später aber wich meine  bedingungslose Liebe zum Verein einem anhaltenden Missfallen, denn er war und ist alles andere als fehlerfrei. Es war nicht mehr zu übersehen.

Nebenbei erkannte ich, dass eben nicht nur Tore und Siege einen geilen Tag im Stadion ausmachen, sondern dass ein trotz Niederlage abgehender Block, eine gelungene Außendarstellung, geile Gesänge und Zusammenhalt ebenso erfüllend werden können. Die Liebe zum Verein wurde quasi durch die Liebe zur Gruppe ersetzt…

Doch an dieser Stelle kommt es zum Bruch: Wir sitzen beisammen, außerhalb des Stadions, boykottieren aus hier nebensächlichen Gründen das Spiel, haben Spaß, während unser Team ganz woanders für unsere Farben kämpft. Wir reden so vertieft, dass erst nach Stunden jemand fragt: Wie ist überhaupt das Spiel ausgegangen?
Schon komisch, wir sagen, Ultra’ heißt fanatische, abgöttische Hingabe für seinen Verein, doch wo war diese Hingabe in dem Moment?

Ich sehe uns bei Toren auf die Zäune steigen, bei geilen Liedern ausflippen, uns in Ekstase singen, uns immer und überall einstehen für Stadt, Viertel und Club – und doch fragt man sich plötzlich, wieso eigentlich? Es kommt mir in den Sinn, dass diese Emotionen aufgesetzt sein könnten: Jubel, weil es dazu gehört, Hass, weil es erwartet wird, Ultra’, weil wir Ultra’ wollen, einfach nur der Sache wegen… Stay real? Wir alle kämpfen für das Überleben unserer Szenen, unserer Ideale und Träume, doch wie ehrlich sind wir dabei mit uns selbst? Sind wir nicht im Begriff, unsere Authentizität, vielleicht sogar unser wichtigstes Gut überhaupt, zu verlieren? Wir müssen aufpassen, dass unsere Schlagworte und Kampfbegriffe nicht zu hohlen Phrasen verkommen, aufpassen, dass wir auch leben, was wir auf Banner, Spruchbänder oder Aufkleber schreiben.
Wenn das Sportliche aus dem Fokus gerät, der Fußball zur reinen Randerscheinung verkommt, die zwangsläufig dazugehört, weil ohne Sport keine Existenzberechtigung, keine Basis, kein Ultra’ – dann verliert die Sache ihr Herz, ihren Sinn und ich frage mich, wie einige dann immer noch über Mentalität reden mögen…?!

Ich weiß, es kostet Überwindung diese Fragen zu stellen, aber kann ich wirklich noch Ultra’ sein und leben, wenn ich Sport und Verein nicht mehr voll und ganz in meinem Herzen trage? Den Verein, nicht die Gruppe! Den Verein, der eventuell zu einem Kommerz-Monstrum verkommt, seine Fans verrät, wegstößt und unsere Heimat, die Kurve, verkauft an Sponsoren, VIP-Gäste und das Fernsehen?

Ich kann diesen Verein nicht mehr lieben, denn auch so sehr ich mir einreden will, dass wir der Verein sind – wir sind es nicht! Der Verein steht auf dem Platz und interessiert sich weit mehr für Nutella-, Adidas- oder Olivenwerbung als für mich.
Söldner, weit entfernt von mir. Wenn mich aber der Sport nicht mehr mitreißt, dann sind meine Emotionen aufgesetzt. Wenn meine Emotionen nicht authentisch sind – müsste Ultra’ dann nicht eine Farce sein?!
Wahrscheinlich gibt es dafür keine Antwort, kein Richtig oder Falsch. Doch allein Reflektion würde uns weiterbringen – uns alle. Zumindest aber wäre sie konsequent…