Ultras und Internet
Getreu dem Motto „Ultras! Ultras! Ultras!“ gilt es natürlich auch heute ein paar Zeilen daran zu verschwenden, über unsere liebste Subkultur auf Erden zu philosophieren. Diesmal geht es, liebe Kinder, um das Internet. Um seine atemberaubenden Möglichkeiten, aber auch um seine abgründigen Schattenseiten. Gerade wir, die wir doch allzu gern gegen staatliche Überwachung und Kontrolle wettern, sollten uns daher ganz klar mit dem Medium schlechthin, dem Internet auseinandersetzen. Immerhin stehen wir mit dem „Stop Control“-Banner in jeder ersten Demoreihe bereit, um dann keine zwei Stunden später unsere Schnappschüsse vom Steinewerfen stolz bei Facebook zu präsentieren.
Wie so oft offenbart auch das Internet eine gewisse Doppelmoral im großen unantastbaren Ultra-Kanon, der wir jetzt auf einer furchtbar spannenden Entdeckungsreise auf die Spur gehen wollen. Schnallt euch an, es wird rasant…
Eigener Internetauftritt:
Themenkomplex Nummero Uno, der eigene Internetauftritt. Muss eine Gruppe tatsächlich einen eigenen Internetauftritt haben oder ist das reine Selbstdarstellung? Erst einmal ganz grundsätzlich: Ja, klar ist das Selbstdarstellung, aber Ultra‘ und Fanszene allgemein sind zu einem guten Teil eben einfach Selbstdarstellung: Fahnen, Zaunfahnen, Fanschals, Choreos… Die Mannschaft spielt nicht besser, nur weil ich ’nen Vicky-Pin am Kragen trage.
Jede Szene versucht, sich einen bestimmten Stil zu geben und inszeniert sich in einer gewissen Art und Weise selbst, wie im übrigen auch jeder Verein. Da gibt es den Underdog, die besonders Arroganten, die stilisierten Bad-Boys und die Truppe, die ganz penibel ihr Suff-Image pflegt. Dass das nicht alles einzig auf den Spieltag konzentriert geschieht, sondern sich dazu diverse „Schlachtfelder“ anbieten, ist doch klar. Das Internet ist ganz sicher eines dieser Schlachtfelder.
Das Gros der hiesigen Ultras hat sich das wohl auch gedacht und bemüht sich wirklich um vorzeigbare Internetauftritte. Vor einigen wenigen Jahren sah das noch anders aus. Nicht selten wurde ein gesteigertes Interesse an einer vernünftigen Homepage bestritten. Dabei bleibt es natürlich fraglich, ob da wirklich die Einsicht gereift war, keine Online-Präsentationsform zu brauchen oder vielmehr die Faulheit obsiegt hatte, den eigenen Auftritt im Netz entsprechend zu pflegen.
Im Jahre 2011 nun besitzt wohl längst jede Gruppe das entsprechende Know-How, über Joomla und Beepworld hinaus ansprechende, zumindest aber mal zweckdienliche Auftritte hinzulegen. Und tatsächlich ist es heute, wo die Szene ein ums andere Mal an den öffentlichen Pranger gestellt wird, auch absolut notwendig, eine Plattform zu besitzen, die eine andere Perspektive bietet. Eine gewisse Gegenöffentlichkeit, die verdeutlicht: Nicht alle Ultras sind „perverse Menschenfresser“! ;-)
YouTube:
YouTube… heute habe ich Karten für den Supportblock. Geile Sache und weil es eben so geil ist, endlich bei den ganz harten Fans zu stehen, zücke ich umgehend Handy oder Kamera und filme den Block. Dann steht da eine 30-Mann-Truppe, die alles gibt, umgeben von 100 Eventies, die alles stumpf mitfilmen, um es wenige Stunden später online zu stellen. Ich frage mich manchmal, ob das Drücken des Upload-Buttons diesen Honks mehr Genugtuung gibt, als die 90 Minuten im Block einfach zu singen oder auch nur Fußball zu schauen. Zumal viele große Gruppen/Szenen selbst von jedem Spiel Bilder und Videos online stellen, die meist um einiges ansprechender und qualitätsvoller sind, als die fünf Minuten Gewackel, in die auch noch ständig irgend so ein Bauer hinein quatscht.
Nicht außer acht zu lassen ist natürlich auch das berüchtigte Copy-kills-Ultra‘-Dilemma, denn gerade besonders gute und originelle Lieder verbreiten sich dank YouTube meist viel zu schnell. Songs, die ursprünglich erdacht wurden, um Szene X vom Rest der Republik abzuheben, werden dann plötzlich von eben diesem Rest der Republik in Windeseile kopiert und zack – ist wieder alles der übliche Einheitsbrei. Natürlich spricht nichts dagegen, sich mal die ein oder andere Mode-Melodie aus anderen Kurven anzueignen – wenn sie einen halt so dermaßen flasht, sie zur eigenen Szene wie die Faust aufs Auge passt, man dem Lied noch seinen eigenen Stempel aufdrückt, mit frischem Text versieht, ein wenig an der Melodie dreht – aber die Betonung liegt natürlich auf dem kleinen Wörtchen „mal“, hin und wieder mal…
Was für Lieder gilt, das gilt darüber hinaus auch für alle Trends, die sich so über die Jahre hinweg durch die Szenen ziehen. Offenbar habe viele Gruppen in Deutschland so wenig eigenes Output, dass sie förmlich darauf angewiesen scheinen, die neue Ultra‘-Deutschland-Winterkollektion online vorgeführt zu bekommen.
ultras.ws
So, nach dem Geplänkel zu Beginn dieses Textes kommen wir nun zu einem ersten ganz großen Höhepunkt: Überall verpönt und doch überall gelesen. Jeder kennt es, jeder kann es einordnen, viele Gruppen diktieren ihren Leuten sogar striktes ultras.ws-Verbot und doch, obwohl angeblich niemand dort schreibt, das Board hat ca. 420.000 User(!). Angeblich alles keine Szeneleute… versteht sich doch von selbst! ;-)
Eigentlich ja auch gar keine so schlechte Angelegenheit: Eine Plattform, auf der über die Szene diskutiert wird, Spieltagsbilder, Choreographien und Spruchbänder gepostet und die Ereignisse der letzten Wochen rekapituliert werden können. Wenn es etwas Neues gibt, dann erfährt mensch es da!
So, kommen wir endlich zum großen „ABER“, denn natürlich hat es schon einen Grund, warum diese Seite einen so unermesslich schlechten Ruf hat:
Der erste Aspekt ist ganz ganz sicher die fragwürdige politische Einfärbung vieler User. Zu sagen, es sei ein Nazi-Board ist aber meiner Meinung nach eine grobe Fehleinschätzung. Ich bezweifle, dass sich dort tatsächlich überproportional viele Nazis herumtreiben, ich fürchte vielmehr, dass die dort vertretenen Meinungen leider Gottes einen guten Querschnitt unserer feinen Gesellschaft geben. Das ewige Gewettere gegen linke Gruppen und linke Politik im Stadion und das Verharmlosen von Thor-Steinar-tragenden NDP-Aktivisten, die sich aber ja im Stadion vorbildlich der Sache, dem Verein unterordnen und deswegen zu tolerieren sind, ist letztlich doch Common Sense in Deutschland. Das macht die Seite nicht besser, aber auch nicht wirklich schlechter als so manchen Kommentarbereich großer deutscher Online-Gazetten. Einige sehen das als Anlass, bestimmte Seiten zu meiden, ich frage mich jedoch, ob es wirklich sinnvoll sein kann, das Schlachtfeld kampflos zu räumen und diesen Leuten damit die Meinungshoheit zu überlassen, anstatt zu widersprechen und eine sichtbare Alternative zu etablieren. Wenn ich mich dem Nazi auf der Straße in den Weg stelle, warum dann nicht auch in digitaler Form? Oder fehlt da der heftige Adrenalin-Flash? Aber egal, zurück zu dieser feinen Seite mit den vielen Ultras…
Neben der politischen Einfärbung einiger Threads ist es vor allem die Dummheit der Beiträge, die ein Verweilen auf www.ultras.ws zu einem Fremdscham-Erlebnis irgendwo zwischen DSDS, BigBrother und Verdachts-Fälle macht. Wer sich da so alles rumtreibt und in fragmentarischer Sprache seine Un-Meinung rausposaunt – einfach zum Brüllen! Und noch mehr zum Brüllen, wenn besagte User ihren eigenen geistigen Dünnsch*** dann auch noch mit lustigen, Gewalt verherrlichenden Avataren und Signaturen aufrüschen. Nur richtige Hard-Core-C-Fraktioner wuseln zwischen den Top-Threads „Mobfotos“, „Eroberte Materialien“ oder „Dorfultras“ umher.
Experten in ihren eigenen sowie allen anderen Szenen, und trotzdem, alle zehn Tage fragt wieder jemand aufs Neue: „Seid wann sind eigentlich Bayern und Bochum befreundet?“
Um sich nicht völlig zu blamieren, muss jede Ultra-Gruppe der Nation sich letztlich klar von ultras.ws distanzieren. All die ZaunsturmBvB’s, Ultrariot_Mucblau’s, GegenDenModernenFußballFcB’s, HBDiffidatiAhoi’s und AvantiKSV’s, all diese Typen haben NATÜRLICH gar keinen Bezug zu irgendeiner Szene, sie treiben sich ja noch nicht einmal im Stadion herum – so lautet zumindest die Legende. Meine ehrliche Meinung dazu: Das ist Ultra‘-Deutschland, genau DAS und genau diese Typen hängen neunzig Minuten mit Sturmhaube auf dem Zaun und zelebrieren Ultra‘.
Ultras.ws propagiert eine ganz bestimmt Lesart von Ultra‘, definiert über Gewalt, Stadionverbote und Fahnenklau. Es bleibt zu diskutieren, ob ultras.ws diese Meinung kreiert, propagiert und in die jeweiligen Szenen trägt oder diese Meinung vielmehr aus der aktiven Szene heraus ihren Weg ins Internet findet. Letztlich aber erkennen wir in diesem Forum eine ganz klare und bedenkliche Schwerpunktsetzung, die wir ABER nicht nur bei ultras.ws sondern trotz aller Dementi auch in etlichem Gruppen wiederfinden.
Es ist einfach bezeichnend, wenn ich in den jeweils offiziellen Flyern und Saisonheftchen vieler, vieler Gruppen Texte und Argumentationen finde, die genau so auch bei ultras.ws stehen könnten (ja, auch in Sachen Rechtschreibung). Wenn Szene X im eigenen Vorzeigeheft den Zusammenstoß mit Szene Y am Bahnhof Mekkeldorf/Holzacker bis auf den letzten geworfenen Stein Revue passieren lässt und sich ob ihrer Heldentaten selbst abfeiert, warum darf das dann User „1312StadionverbotlerMitUns“ nicht auch im entsprechenden Randale-Thread? Weil die Polizei mitliest? Der Rest der Welt sonst einen falschen Eindruck der Ultra‘-Szene bekommt oder weil er schlicht kein Recht hat, die eigene Szene mit seinen einzigartigen Hauptsatz-Hauptsatz-Konstruktionen zu preisen, wenn das der eigene Capo doch genauso prächtig kann?
Vielleicht wird ultras.ws auch genau deswegen so gehasst, weil es der Szene den ungeliebten Spiegel vorsetzt und aufzeigt, wie verpeilt diese durchaus faszinierende Subkultur sein kann. Das, was sie dort sehen, ist erschreckend, aber leider der Ist-Zustand in Ultra‘-Deutschland. Diese Erkenntnis muss wohl erst sehr langsam reifen. Und ganz egal wie langsam, es wird weiterhin genügend Gruppen geben, deren Synapsen sich noch schleppender entladen. Diese Jungs müssen dann leider warten, bis andere Gruppen die entsprechenden Schritte machen und medial aufbereiten, damit sie zumindest per copy and paste nachziehen können.
Last but not least die Geißel der Generation 2.0. Das räudige Facebook, Online-Selbst-Inszenierung mit hohem Suchtpotential und Nervfaktor.
Jeder gute Ultra vermummt sich während der Straßenschlachten, um sein verzerrtes Konterfei bei Facebook wieder zu markieren. Keine Gespräche mit der Polizei, wozu auch, wenn wir in unserer Statusmeldung damit posen, einem 12-jährigen Mädchen ’ne Jacke abgezogen zu haben.
Und überhaupt, wir verpixeln unsere Gesichter auf der offiziellen Gruppen-Homepage, damit wir auch alle ja anonym bleiben und keiner uns auf die Schliche kommt, bei Facebook aber kann ich in Windeseile die ganze Gruppe mit Name, Wohnort, Schule, Familie, Sportverein und Haustier ausfindig machen. Da könnt ihr euer Profil auch gerne verstecken, am Ende weiß ich trotzdem alles, vertraut mir. Es ist so verdammt einfach über ein wenig Kombinieren jeden bloßzustellen, denn das, was ihr nicht selbst postet, das sagen mir eure Freunde, der Account von Mama, Papa oder Oma Monika. Von Anonymität keine Spur. Selbst wenn du dir einen coolen Nickname gibst, dann aber die HP deiner Fußballmannschaft verlinkst, ja, dann kann ich mir mitsamt Bildchen auch alles zu dir anschauen, dann hab ich deinen echten Namen, ein wenig googeln und Abrakadabra, ich weiß plötzlich sogar, um welche Uhrzeit du dieses Jahr deine mündliche Abiprüfung gemacht hast!
Gerade die Jungs, die glauben, es sei erstrebenswert, Zustände wie in Krakau einzuführen, denen sei versichert, dass ihnen Facebook schnell zum Eigentor gereichen kann. Wer bei FB mitspielt, sollte sich also schon ganz genau überlegen, inwieweit das zu seiner bemerkenswert bösen Ultra‘-Interpreation auch passt, bzw. wie groß sein Mut ist, wirklich immer und überall zu seiner Sache zu stehen. FACEBOOK ist eine bewusste Entscheidung gegen die Anonymität.