Ultra‘ ist, was du draus machst
Sind wir jetzt eigentlich Ultras oder eher nicht? Eine Frage, die unsere Gruppe von Beginn an begleitet und so schnell wohl auch nicht mehr loslässt.
Wie wahrscheinlich jeder weiß, hat sich Nordkaos zu Beginn seiner Amtszeit hier beim SC Victoria stark distanziert von der Zuschreibung „Ultras“. Viel gebracht hat es uns allerdings nicht, die Zuschreibungen kommen ganz von alleine, wie wir feststellen mussten. Für die meisten Leute in Hamburg sind wir schlicht und einfach die Vicky-Ultras. Logisch, für sie wird der Ultra zunächst einmal an seinem Auftritt im Stadion festgemacht, wir sehen aus wie Ultras, wir singen wie Ultras, unser Material sieht aus wie bei Ultras. Nur den Begriff, den meiden wir wie die Pest.
Warum? Das sollte ja langsam jeder wissen, wir wollen bestimmten Dogmen, die offensichtlich mit dem Begriff einhergehen, ausweichen. Das typische „richtige Ultras müssen das“, „echte Ultras müssen dieses“-Gewäsch. Wir wollen selbst entscheiden, vor allem darüber, welcher Facetten dieser – zugegeben faszinierenden – Subkultur wir uns tatsächlich bedienen wollen und welcher eben nicht.
Anders als die meisten anderen Gruppen in Deutschland, die sich 1:1 mit der Ultra‘-Idee identifizieren, orientieren wir uns nicht an einem ausländischen Modell. Wir schauen NICHT in ein anderes Land, zu den Ursprüngen dieser fanatischen Fankultur oder den vielen großen geschichtsträchtigen Szenen – zumindest nicht als bedingungslose Vorbilder. Wir wollen uns selbst finden und zwar nicht zwangsweise als Ultras.
Da ist zum Beispiel die Nummer mit der Gewalt, die uns ja bekanntlich am A**** vorbeigeht. Wir müssen das nicht mitspielen, NUR weil es in anderen Ländern Gang und Gäbe ist oder weil es einfach „dazugehört“. Gerade bei vielen deutschen Szenen ist die Gewaltschiene aufgesetzt, gewollt radikalisiert, gewollt, um Ultra „authentisch“ zu gestalten. Mag ja sein, dass es in Italien, Kroatien, Griechenland oder Polen authentisch ist, aber wenn ich mir die Szene XY anschaue, in der 90 % feingliedrige Studenten aus gutem Hause ihr Unwesen treiben, dann sehne ich mich schon nach etwas mehr Glaubwürdigkeit.
Andere Ideen, die Ultras ausmachen, korrelieren wiederum mit wesentlichen Punkten, die auch Nordkaos ausmachen. Wie ja der treue Leser unser kleinen Gazette weiß, leben auch wir nicht völlig abgewandt von der deutschen Ultra-Welt. Wir folgen ihr aufmerksam, wir diskutieren sie und versuchen, uns immer neu zu ihr ins Verhältnis zu setzen. Trotz der vielen harten und kritischen Worte fasziniert uns diese Kultur natürlich und wir sehen uns mit den genannten Einschränkungen auch als ein Teil dieser Subkultur. Ein eigener Teil, eine mögliche Lesart, eine Interpretation.
Vielleicht wäre es sinnvoll unserem Weg einen eigenen Namen zu geben, etwas eigenes zu kreieren, aber uns fehlt der rechte Begriff. Tatsächlich würde es uns gut zu Gesicht stehen, andererseits diskutieren wir auch wieder die Möglichkeit, den Begriff Ultras anzunehmen und mit neuer Bedeutung aufzuladen. Resignifizierung als Versuch, den Diskurs zu verändern. Würde uns auch recht gut zu Gesicht stehen, frei nach dem Motto: Ultra‘ ist, was du draus machst.
Den Hardlinern würde das sicherlich nicht passen, aber eine clevere Idee, eine clevere Subkultur will auch gefordert werden. Fordern können wir aber nur durch Provokation und Rütteln an den unhinterfragten Normen. Gerade die Szenen, die sich selbst längst zu ernst nehmen, sollten wieder etwas in geistige Bewegung geraten. Etwas mehr Raffinesse bitte! Und auch Selbstreflexion. Natürlich lohnt es sich manchmal, für etwas zu kämpfen und Grenzen zu überschreiten – keiner will Ultra‘ als zuckersüße, angepasste Kinderkacke. Aber, wir müssen auch keine Kriege um Leben und Tod führen. Zumal gerade die Gruppen, die so inszeniert hart mit ihrem „ein-Leben-lang-bis-in-den-Tod-und-dann-auch-noch-weiter“-Geseiere kommen, geben die Ultra-Kultur oftmals direkt wieder der Lächerlichkeit preis. Wer mal kräftig lachen will, der sollte Ultra-Texte lesen, an Pathos nicht zu übertreffen. Besonders vortrefflich das ganze Stadionverbots-Gejammer. Erst auf den dicken Maxe machen und dann weinen. Klar, mit der Aussage mache ich mich unbeliebt, aber ich wünschte mir, dass Ultras so etwas mal mit ein wenig mehr Fassung tragen. Ist scheiße, aber das Rumgeheule lässt die Szene nun auch nicht wirklich reifer klingen.
Ultras geben vor, Vieles zu sein, was sie nicht sind. Tatsächlich ist die ganze Bewegung im Moment ziemlich festgefahren und eingeschränkt. Feste, unverrückbare Parameter legen uns allen Fesseln an, die es mühevoll wieder aufzubrechen gilt. Einige Gruppen sind bereits auf dem Weg, sich neu zu finden, andere spielen noch etwas vor sich hin. Wichtig aber ist es, diese Fesseln langsam zu thematisieren und in Frage zu stellen. Muss Ultra‘ in Deutschland so sein wie in anderen Ländern? Kann Ultra‘ einen anderen Weg gehen, bzw. will oder muss Ultra‘ in Deutschland tatsächlich einen anderen Weg gehen? Die Antwort ist nicht annähernd so wichtig wie die Frage.
So und wo stehen wir nun? Sollten wir uns einfach mal aus unserer selbstgewählten Begriffsisolation herausbewegen und unsere Ideen mit in den Ideenpool „Ultras“ schütten? Ultra‘ à la Nordkaos? Ein winziges Gegenmodell, eine winzige Applikation? Ja, warum eigentlich nicht?!? Besser als all die, die nicht suchen, sondern nur nachmachen! Copy kills Ultra’… ;-) Wisst ihr ja. Und was wissen wir seit heute noch: Ultra‘ ist, was du draus machst! You see?!