Fußball am Scheideweg – Ein Epos in drei Teilen

Fußball am Scheideweg – Ein Epos in drei Teilen

Um nicht einfach nur haltlos zu wettern, zu pöbeln und zu jammern, werde ich meine Gedanken anhand meines eigenen Fan-Werdegangs sortieren. Es geht darum, kurz zu skizzieren, was Fußball für mich bedeutet und wie viel mehr es ist, als nur 90 Minuten Sport – auch wenn dieses Erlebnis natürlich im Mittelpunkt steht und immer stehen sollte. Trotzdem gibt es etwas neben dem Rasen, das uns Fans offensichtlich im Begriff ist, aus den Händen zu gleiten, das sich vom reinen Sport Fußball „scheidet“ und Anstoß für all die Grabenkämpfe der letzten Jahre ist.

Ach ja, meine Antwort ist übrigens „ja“, der Fußball steht am Scheideweg, zumindest für mich, warum lest ihr jetzt:

Meine Fankarriere – Fußballkultur und die Luft zum Atmen

Meine Fußballliebe begann mit der WM 1990. Für die Jüngeren wahrscheinlich undenkbar, aber damals noch ohne Schland-Orgien, Public Viewing und Supi-Dupi-Autokorso. Fußball war irgendwie dreckig. Selbst wenn Schwarz-Rot-Geil gegen das Leder trat, hielt sich die allgemeine Begeisterung eher in Grenzen. Wer Fußballfan war, der schaltete eben ein, der Rest blieb beim Tatort. Und nix mit Vier-Wochen-Nationalmannschafts-Hardcore-Party-Häschen on Tour.

Fußball war einfach nicht en vogue, sondern Spielwiese für Nazis, Hooligans und Proletarier. Naja und für mich. Wo andere abfällig die Nase rümpften, wurde ich neugierig. Da all die großartigen Spieler jener Tage in Italien kickten, begeisterte auch ich mich zunächst für die Serie A. The Real Deal und deswegen drückte ich Inter und Sampdoria Genua (keine weiteren Fragen!) die ersten Däumchen. Mein großer Fußballheld: Walter Zenga. Also absolut Italienstyle, hehe.

Für die heutige Jugend undenkbar, aber zu Prä-Internetzeiten war es fast unmöglich, an weitergehende Informationen oder gar Spiele aus dem Land der Tifosi zu kommen und so blieb mir letztlich nichts anderes übrig, als mich mit der doch recht fad wirkenden Sportschau auseinanderzusetzen. Erst der große Gamechanger meiner Generation, die Sat.1-Sportsendung Ran (totaler Mist, weil stumpfer Boulevard, aber eben mit aufwendiger Berichterstattung) brachte mir die Bundesliga wirklich näher. Ziemlich bald konsumierte ich einfach alles und kein Intertoto-Cup-Spiel sollte mir mehr durch die Lappen gehen – zumindest am Fernseher.

Schon früh verspürte ich den Drang, auch mal ein Stadion von innen zu erleben. Führten die ersten Touren noch mit Papa auf die Tribüne, kam gegen Mitte der Neunziger endlich die Zeit, in der ich mit einem kleinen Haufen Gleichgesinnter auf die große böse Fußballwelt losgelassen wurde. Verkleidet mit Trikot und gefühlten 800 Schals am Arm ging das Abenteuer los, das mich heute, viele Jahre später noch immer in seinem Bann hält: Das Erlebnis Fankurve.

Ich liebte es zu singen, zu jubeln zu fluchen – zusammen mit all den anderen Verrückten in der Kurve. Dass es überall nach Bier stank und ständig irgendeine übel miefende Rauchbombe hochging, störte mich nicht, ganz im Gegenteil, die Welt auf den Rängen, mit ihren eigenen Regeln, ihren Obszönitäten, ihrer Energie, dem Witz und der Rauheit, all der unbändigen und unkontrollierbaren Leidenschaft machte mich süchtig. Bis heute.

Das so gern und inflationär beschworene Gefühl bedrückender Gewaltatmosphäre hatte ich übrigens nie, dabei gab es kaum Polizei, kaum Ordner und Sicherheitspersonal. Es waren die extremsten Typen unterwegs, aber trotzdem fühlte ich mich immer sicher.

Wir Teenager haben damals alles in uns aufgesogen und bis ins Detail studiert. Die Zaunfahnen, die immer und überall hingen, die Kutten mit ihren unzähligen Aufnähern, die Sprüche und derben Lieder, die Fanclubs, ihre Magazine und den Dresscode – alles war wichtig. Und wir passten uns an. Trikot war bald Out, Umbro-Pullover und nur noch ein Schal angesagt. Fischerhut dazu und auch dieser merkwürdige Begriff „Ultras“ begegnete uns immer häufiger. Während bei den anderen Teenagern schließlich die obligatorische Suff- und Discophase einsetzte, verbrachte ich meine Samstagabende zunehmend mit Freunden in der Regionalbahn. Das Wochenendticket (Unglaublich, aber wahr, heißt es doch tatsächlich so, weil es mal für günstig Geld ein GANZES Wochenende galt) bestimmte viele Stunden meines jugendlichen Lebens. Eine Zeit geprägt vom Entdecken und langsamen Dazugehören.

Die ersten Auswärtsfahrten, der Versuch, seine eigene (nicht gerade geniale) Zaunfahne irgendwo unterzubringen, von anderen Leuten aus der Kurve wieder erkannt zu werden, mit ihnen zu reden, Dinge über die Szene zu lernen und schlicht zu begreifen, dass neben dem Spielfeld noch etwas anderes den Fußball so unbeschreiblich und mystisch macht: Die Fußballkultur.

Dieser kleine Mikrokosmos rund ums Stadion, der uns Gelegenheit bietet, mehr als nur ein Zuschauer zu sein, sondern ein Fan, ein Teil der Ränge, der Szene und damit des Vereins. Ich konnte von alldem nicht genug bekommen. Ich wollte meinem Verein überall hinterher reisen, ich wollte das große Abenteuer, ganz Deutschland, ganz Europa. Ich habe Stunden über Stunden in der Bahn, in Bussen und Autos verbracht. Ich habe Stunden über Stunden nachts auf Anschlusszüge gewartet, habe gefroren und mit meiner Erschöpfung gerungen. Ich bin 48 Stunden unterwegs gewesen für 90 Minuten Fußball, um dann weitere 48 Stunden unterwegs zu sein. Ich habe meine Touren und Tickets vom Mund abgespart, habe auf vieles verzichtet, aber letztlich nichts versäumt.

Es ist diese unbeschreibliche Leidenschaft, wenn man nach einem Hardcore-WET-Wochenende Montags schon wieder unruhig wird und nur noch an das nächste Spiel denken kann. Ich behaupte, jeder, der das nicht kennt, der hat den Fußball nie verstanden! Der mag taktisch einiges drauf haben, der mag jeden Spieler mit Zweitnamen kennen, das Spiel lieben und leben, aber er kennt eben nur 50 Prozent des Ganzen. All das Magische, all das, was uns Fans jedes Wochenende aufs Neue anzieht, dass entzieht sich ihm.

Singen, anfeuern und mit aller Kraft und Kreativität die Mannschaft unterstützen, Teil des Auftrittes sein. Immer und überall. Der Phantasie waren damals keine Grenzen gesetzt. Und genau das hat es ausgemacht. Es gab keine sinnlosen Grenzen. Die Kurve war Freiheit und Leidenschaft. Choreographien, Fanzines, Spruchbänder, Banner, Fahnen, besondere Gesänge und ab und an mal Pyro. Sich ausleben, sich ausprobieren, sich und die Kurve gestalten.

Es ist leider kein Geheimnis, dass sich der Fußball seitdem stark verändert hat. Die eben noch beschworenen Freiheit, der Spaß und die Sorglosigkeit wurden der Szene rasch ausgetrieben. Ganz wesentlich natürlich, weil der Fußball nun salonfähig und wirtschaftlich potenter wurde. Und zwar tsunamiartig! Zaunfahnenplätze mussten plötzlich Banden neuer Werbepartner weichen, die Karten wurden Jahr für Jahr teurer bis unbezahlbar, traditionelle Stadionnamen wurden verschachert, Stehplatzbereiche zugunsten von Familien und Gelegenheitszuschauern gestrichen, während Stadionshow und Eventmarketing die Organisation des Fußballnachmittags auch für die übernahmen, die sich gar nicht organisieren lassen wollten. Die extremen Typen auf den Rängen wurden abgelöst von schlichten Typen, um dann die schlichten Typen wiederum mit Zuschauern auszutauschen, um Zuschauer in markentreue Kunden zu verwandeln und letztlich nur noch Kunden ohne Produkttreue zu pflegen. Der Fußball, sprich das Sportliche, die 50 Prozent vom Phänomen, die auf dem Rasen stattfinden, erfanden sich neu, nicht aber die anderen 50 Prozent vom Gesamtphänomen, die sich Kurve schimpfen. Sie sehnt sich noch immer nach ihre alten Identität und kämpft dafür. Doch die Luft zum Atmen wird immer dünner.

Dabei übersehen Vereine und Verbände, die sich in einem sonderbaren Gewirr von Gutmenschen-Populismus und Neukundenakquise verloren haben, dass wir Fans eben keine Kunden sind, dass wir eben nicht NUR 90 Minuten Fußball wollen, sondern auf den Rängen eine eigene Kultur haben mit eigenen Idealen und Ideen. Wir wollen uns ungern einer Corporate Identity unterordnen und wir wollen nicht akzeptieren, dass Vereine unsere Treue nur allzu gern gegen Kunden tauschen, die sich emotionslos wieder abwenden, wenn unser Produkt gerade nicht bieten kann, was Produkt XY erfüllt – sprich, wenn wir mal scheiße spielen, sind die Leute weg! Events sind austauschbar und ob es diesen Leuten nun mehr oder weniger um den Sport geht als uns Verrückten, müsst Ihr Euch am besten alle mal selbst fragen!

Ich bin in dieser Zeit übrigens zum ersten Mal mit Gewalt im Fußball in Berührung gekommen. Nicht von Fans ausgehend, sondern der Polizei. Sie war die erste Gruppe, die mir wirklich Unbehagen im Stadion bereitet hat. Kein Wunder natürlich, dass ich mich wegen ihrer wiederholt undifferenzierten und brutalen Vorgehensweise mit der Seite der Fans und Ultras solidarisiert habe. Selbst mit den Fangruppen, mit denen ich eigentlich von Natur aus weniger sympathisiere.

Leider offenbaren Vereine, Verbände und Polizei immer wieder, dass ihnen nicht daran gelegen ist, die Probleme in unseren Stadien zu lösen, sondern dass sie eigentlich nur die Leute zuhause beruhigen wollen, die zwar noch nie ein Fußballstadion von innen gesehen, aber am heimischen Stammtisch gern mal über Krawallmacher und den Untergang der westlichen Welt lamentieren. Dabei geht es dem Staat nicht um eine Lösung, sondern um die Bestrafung derjenigen, die sich nicht von selbst anpassen! Ich habe die Willkür erlebt, ich weiß, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Fans nicht der schlichten Gewaltgeilheit wegen auf die Barrikaden geht, sondern weil sie sich im Kampf gegen ein Unrecht wähnen. Die enorme Stärke, die ihnen das Gefühl im Recht zu sein verleiht, wird wiederum von Staatsseite unterschätzt und führt doch letztlich dazu, dass die Polizei noch so brutal draufschlagen kann, viele Fans aber unermüdlich zurückschlagen. Das Unverständnis für Zusammenhänge und Solidarisierungsprozesse auf Seiten der Exekutive ist beunruhigend. Zumal es genügend auch wissenschaftlich fundierte Zugänge gibt, die einfach nicht genutzt werden (wollen)?

So ist das Mittel der Stadionverbote ein gutes Beispiel für ein populistisches Werkzeug mit Boomerang-Effekt. Zum einen heißt so ein Verbot nicht, dass der Täter nun aus der Welt des Fußballs verschwindet, er fristet seine 90 Minuten nur eben nicht bei Gesängen in der Kurve sondern irgendwo auf den Straßen, zusammen mit den anderen bösen Jungs. Statt sich unter Kontrolle bei Gesängen, Torpogo und Hüpfeinlagen auszupowern, holen sich die Jungs den Kick per Kick. Davon ganz abgesehen, dass so ein Stadionverbot generell kaum noch als Strafe für ein Fehlverhalten wahrgenommen wird – eben weil ein nicht geringer Prozentsatz überzogen und willkürlich verhängt wird – sondern der Delinquent oftmals zum Märtyrer im Kampf der eigenen Sache um Freiräume und Gerechtigkeit aufsteigt.

Wem der Nachwuchs in den Kurven dann nacheifert, den Jungs an Trommel, Fahne und Megafon, die sich Woche für Woche um die banalsten Grundrechte mit der Obrigkeit streiten und wirklich kräftezehrend um jeden Zentimeter an der Fahnenstange kämpfen oder der dunklen Seite der Macht, die draußen auf der Straße lungert und dort für die noble Sache „einsteht“, kann sich wohl jeder selbst beantworten.

Ich habe in meinem Leben schon viel reden, reden und nochmals reden müssen. Irgendwann wird man es müde zu reden. Man spürt eine gewisse Ohnmacht. Es gibt keine nachvollziehbare Konsequenz in der Behandlung von uns Fans, wir sind einer Maschinerie ausgeliefert, die heute Hüh sagt und morgen Hopp. Und wenn du nur einen Moment zu lange die Stirn runzelst, holt sie mit dem Schlagstock aus.

Übrigens kleines Gedankenspiel-Gimmik für Zwischendurch: Gerade die verteufelten Ultras sind meist extrem jung, viele sogar minderjährig, Teenager und Kinder. Trotzdem marschiert die Polizei heute mit Pistolen im Halfter beim Fußball auf. Warum? Weil von einer Gruppe 16-jähriger Halbstarker eine solche Gefahr für eine Polizeihundertschaft ausgeht, dass man überlegen muss, notfalls zur Schusswaffe zu greifen? Offenbar hat Frau Maischberger recht, der widerspenstige Fußballfan rangiert in Deutschland tatsächlich auf der gleichen Ebene wie der Taliban. Wahrscheinlich glauben Vereine, Verbände und Polizei, wir Fans merken es nicht, wenn sie uns verarschen, aber es sei Euch gesagt, ja, wir merken es und es hilft leider nicht dabei, die Wogen zu glätten: Welcher Bonbon ist denn nun ein Wurfgeschoss, der „Nimm Zwei“ oder der „Vivil“? Da Vivil unser Sponsor ist, darf der natürlich rein, der andere muss aber dringlichst draußen bleiben. Jawohl, Herr Ordner! Sponsoren-Bonbons ungefährlich, Fremd-Bonbons extrem gefährlich und verboten! (Kein Witz, so erlebt!)

Wir befinden uns im Fußball in einer Gewaltspirale, die wir NICHT über noch mehr Gewalt lösen können, es aber der unwissenden und leichtgläubigen Öffentlichkeit unserer Biedermann-Renaissance unermüdlich so verkaufen. Dabei übersieht die Obrigkeit, dass sie mit ihrem Vorgehen die Fans nicht einschüchtert, sondern die Eskalation nur immer weiter anheizt, vor allem aber auch Leute von außerhalb der Fußballszene anzieht, die Lust auf Konfrontation und Action haben. Generalverdacht und Kollektivstrafen aber führen dazu, dass sich alle in der Kurve auch mit dieser Klientel solidarisieren und selbst ich geneigt bin, Leute vor der Polizei zu schützen, denen ich im normalen Leben aus tiefster Abneigung wohl niemals die Hand reichen würde. Aber die Polizei steht eben nicht gerade für meine Interessen und Rechte als Fan. Meine Interessen und Rechte als Bürger wurden mir ja leider schon mit dem Teilhaben an einer aktiven Fanszene aberkannt. Statt Freiheit in der Kurve vogelfrei zum Abschuss!

Der Modellversuch

Im zweiten Teil meines Fan-Epos komme ich zu meinem Exodus an die Hoheluft. Denn es gab irgendwann den Moment, an dem ich die Stadiongentrifizierung in der Bundesliga und das permanente Ringen um jeden Millimeter Freiheit und Raum zur Entfaltung nicht länger ertragen konnte. Ich fühlte mich von der kapitalistischen Akkumulationslogik der modernen Fußballunternehmen verschluckt. Bäm, lasst euch den Satz ruhig auf der Zunge zergehen! ;-)

Repression und Willkür wurden mir zu viel, ich bin nicht mehr mit Freude zum Fußball gefahren, sondern mit der bösen Vorahnung: Wie werden sie wohl heute mit mir umgehen, was muss ich dieses Mal ertragen? Dazu kam, dass ich auch der aktiven Szene eine Mitschuld an dem rasanten Erklimmen der Eskalationsleiter gab und gebe. Blinder Hass tut nicht gut. Auch nicht gegenüber der Polizei. Ich will mich nicht prügeln, sondern Tifo! Ekstase beim Singen, geiles Material, Trommeln, Banner, Megafon. Wenn das alles nicht mehr Teil vom modernen Fußball sein darf, wenn wir in einem engen Käfig stehen müssen, Spieltag für Spieltag Sonderbehandlungen, nonstop Kameraüberwachung und Kontrollen bis auf die Unterhose ertragen müssen, dann reichte es mir. Ich hatte Angst, dass es irgendwann zu viel wird und ich zurückschlage. Einfach, weil ich diese ständige Ohnmacht nicht mehr aushalte. Zusammen mit den gemäßigten Leute bin ich gegangen, während die konfliktfreudigen kamen. Absurd!

Bei Victoria wollten wir es schließlich anders probieren. Hass, Gewalt, Repression, Polizei – all das wollten wir hinter uns lassen und nur noch Fußball. Das war befreiend und heilsam! Die Freiheiten in der Oberliga gaben uns wieder Luft zum Atmen. Echter Fußball, keine großen Regeln, keine Kontrollen. Das perfekte Exil für einen Eventflüchtling. Und siehe da, es gab weder Tote noch Verwüstungen. Wir haben gemacht, was wir wollten und es hat keinem geschadet. Ob wir nun getrommelt haben oder gezündet. Unsere Fahnenstangen einen Meter oder zwei Meter lang waren. Wir lebten den Modellversuch, ganz nach dem berühmten Schnack: Wenn wir uns nichts zu schulden kommen lassen, dann haben wir auch nichts zu befürchten.

Das Scheitern?

Heute ist sie zurück, die Anspannung, der Frust, der mich diese Zeilen schreiben lässt. Dabei mache ich dem Verein selbst keinen Vorwurf. Er steht ja selbst unter Druck, der Verband befielt, der Club muss mitspielen. Pyro hat sich erledigt, es ist müßig darüber zu diskutieren. Es wurde befohlen, wir folgen. Wir kommen auch nicht dagegen an. Modellversuche lässt der DFB nicht zu, der Verein steht mit dem Rücken an der Wand.

Wir haben erst wenige Spiele, aber schon nimmt der Druck auf uns an allen Ecken und Enden zu. Vor allem die Polizei hat uns im Visier. Warum? Weil wir da sind. Weil wir Fans sind und Fans grundsätzlich böse Dinge tun, zumindest aber tun könnten. Jetzt sitzen sie da und beschäftigen sich mit uns. Sie sammeln Daten, legen Akten an und überwachen. Sie sagen, ihr habt zwar nichts getan, aber ihr könntet. Ihr seid Fans, auch Fans, die noch nicht aufgefallen sind, sind Kriminelle in spe. „Wenn ihr euch nichts zu Schulden kommen lasst, dann müsst ihr doch nichts befürchten.“ Das ist ein gern gewählter Satz von Leuten, die abends, wenn es dunkel wird, ihre Jalousien vor die Fenster ziehen. Damit keiner reinschaut.

Ich will nicht überwacht werden von der Polizei, ich möchte nicht bei jedem Schritt, den ich als Fan gehe, kontrolliert werden, weil ich mich nämlich jetzt schon fühle wie ein Verbrecher. Nein, ich habe noch nichts angestellt, aber wenn man nicht davon ausgehen würde, dass ich das irgendwann tue, warum muss man mich dann also überwachen und alles über mich wissen? Ist ja nicht so, dass sie das mit allen Menschen machen – zumindest noch nicht.

Warum muss also die kleine und harmlose, Gewalt und Diskriminierung jeglicher Art ablehnende Fanszene des SC Victoria katalogisiert und analysiert werden? Warum steckt in uns offenbar mehr Gewaltpotential, als in den anderen Leuten rund um den Verein, in den Spielern und anderen Zuschauern? Warum muss die Polizei auch da für Unruhe sorgen, wo eigentlich alles läuft und keine Probleme bestehen? Warum muss man uns Gewalt suggerieren? Warum muss man uns so unseren Fußball kaputt machen?

Aber die noch viel wichtigere Frage für uns alle lautet letztlich, wie sollen wir unseren Leuten noch weismachen, die Polizei, unser Freund und Helfer, wolle uns nichts Böses?

(Gez. Türkischer Jungenname)

Geschrieben im Sommer 2012